Stolperstein für Hermann Durlacher (Cato d Ae [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons)
Neben der Gedenktafel zur Bücherverbrennung sind die an vielen Stellen in Heidelberg anzutreffenden Stolpersteine ein weiteres Beispiel für die Gestaltung von Erinnerungsorten. Kleine, in den Boden eingelassene Messingklötze erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus, die in den Häusern wohnten oder wirkten, vor denen die Stolpersteine zu finden sind. Der Künstler Günter Demnig setzt die Mahnmale jeweils vor den letzten freiwillig gewählten Wohnsitz der betroffenen Menschen und hat insgesamt in ganz Europa bereits etwa 69.000 Steine verlegt, in Heidelberg sind es bisher 152.
Die Idee, die hinter der materialen Gestaltung steht, ist, dass die Stolpersteine durch die Passanten, die darüber hinwegschreiten, blankpoliert werden und sie sich so vom umgebenden Pflaster abheben. Allerdings ist es in der tatsächlichen Nutzung so, dass viele Menschen aus Respekt absichtlich nicht auf die Stolpersteine treten und sie dadurch mit der Zeit anlaufen. Daher gibt es im Rahmen organisierter Erinnerungsveranstaltungen immer wieder Initiativen, Stolpersteine zu putzen. Auch die Bürger*innen-Vereinigung, durch deren Arbeit es in Heidelberg ab 2010 überhaupt zu den ersten Verlegungen kam, bittet auf ihrer Internetseite um private Mithilfe bei der Pflege der Stolpersteine.
Das Putzen der Stolpersteine, ebenso wie ihr Lesen, verlangt eine gebeugte Haltung – beim Reinigen vielleicht sogar ein Niederknien. Diese Praktiken ergeben sich aus der spezifischen Materialität der Stolpersteine, haben aber gleichzeitig eine symbolische Seite: Die Verbeugung vor dem Stolperstein ist auch eine Verbeugung vor den darauf verewigten Menschen. Kritiker an der Gestaltung der Stolpersteine argumentieren andererseits, dass nicht auszuschließen sei, dass hier ebenso symbolisch die Erinnerung mit Füßen getreten oder beschmutzt werden könnte.
Hauptstr 121: Fam Durlacher:
Hermann Durlacher arbeitete als Lehrer an der Friedrich-Ebert-Schule und war seit 1923 mit Martha verheiratet. Sie bekamen zwei Kinder, Walter und Ludwig. 1935 wurden alle jüdischen Schüler und Lehrer aus den Heidelberger Schulen ausgeschlossen. Da Hermann jedoch von 1914 bis 1918 als Soldat an der Front im 1. Weltkrieg gekämpft hatte, erlaubte man ihm als einzigen Heidelberger Juden, eine jüdische Klasse an der Landhausschule in der Weststadt zu unterrichten. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurden Hermann Durlacher und seine Schüler auch aus der Landhausschule vertrieben - er setzte daraufhin den Unterricht in Räumen der jüdischen Gemeinde unbezahlt fort. Im Oktober 1940 wurden er und seine Frau jedoch erst nach Gurs in Frankreich und 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihre Söhne hatten sie kurz vor Kriegsausbruch mit einem Kindertransport nach England geschickt. Die beiden wurden schon bald voneinander getrennt; Walter wurde nach Kanada gebracht und kam in den 1950ern Jahren zurück nach Deutschland während Ludwig in England blieb und dort eine Familie gründete.
Wie gehen wir mit Schrift im öffentlichen Raum um? Nehmen wir sie überhaupt wahr? Welche Bedeutung kommt ihr zu?
Zentral für Praktiken ist die Interaktion. Ein Gegenstand gewinnt erst dadurch Bedeutung, dass wir, die Menschen, ihn wahrnehmen, einordnen und daraufhin mit ihm interagieren. Ganz allgemein gesprochen erkennen wir Schrift, bleiben stehen, lesen diese, verarbeiten die Botschaft, merken sie uns, wenn wir sie für erinnerungswürdig erachten und erzählen von ihr vielleicht auch noch anderen Menschen. Genauso kann aber auch eine negative Reaktion auf die Schrift eine Praktik sein, zum Beispiel, wenn wir eine Schrift gar nicht mehr lesen. Heutzutage sind wir von so viel Schrift umgeben, dass sie für uns ganz alltäglich ist und wir häufig einfach an ihr vorbei gehen, ohne sie richtig zu lesen. Andererseits kann sie aber auch an uns vorbeikommen, beispielsweise als Aufdruck auf einem T-Shirt oder als Werbung auf einem Auto. Dabei können wir vielleicht gar nicht schnell genug lesen oder sie ist zu weit entfernt, um sie zu entziffern. Zudem konkurriert Schrift um unsere Aufmerksamkeit, denken Sie zum Beispiel an Leuchtreklame, Schlussverkaufs-Schilder oder Tafeln mit Speiseangeboten vor Restaurants.
Wenn wir uns jetzt wieder den Stolpersteinen zuwenden, können wir erkennen, dass Praktiken sich stetig wandeln und sie von Mensch zu Mensch aber auch von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich sind. Die ursprüngliche Idee des Künstlers Günter Demning war es, dass man über die Stolpersteine genau so wie über anderes Straßen- und Wege-Gebiet schreitet und sie dadurch poliert. Diese Idee wurde jedoch nicht zur Praktik, da es die meisten Fußgänger aus Respekt vermeiden, auf die Steine zu treten. Manche Menschen bemerken die Steine nicht, andere bleiben hingegen stehen und verneigen sich symbolisch vor den Opfern; wieder andere machen vielleicht ein Foto oder putzen sie. Ein weiterer Aspekt, der die Praktik beeinflusst ist das Vorwissen. Jemand, der zum ersten Mal einen Stolperstein sieht, betrachtet diesen vielleicht intensiver und denkt einen Moment über dessen Bedeutung nach, als jemand, dem das Konzept vertraut ist und der sich vielleicht nur fragt, ob die Person überlebt hat oder ermordet wurde.