Hauptportal der Universitätsbibliothek Heidelberg (Ria Würdemann)
Die Universitätsbibliothek mit ihrem stetig anwachsenden Bücherbesitz hat bereits viele Umzüge hinter sich. Zuletzt entschied man am Ende des 19. Jahrhunderts, dem Platzmangel in der Bibliothek durch einen Neubau zu begegnen. Seitdem haben sich die Nutzungsanforderungen zwar weiter geändert und neue Umbauten erforderlich gemacht, doch auch heute noch ist der "Neubau" von 1905 das Hauptgebäude der Heidelberger Universitätsbibliothek und ein markantes Gebäude in der Altstadt.
In einem Zeitschriftenaufsatz von 1912 erklärte der ausführende Architekt Josef Durm, nach welchen Grundgedanken er die Bibliothek gestaltete: Einerseits sollte sich der Bau durch Verweise auf bestehende Architektur organisch in die Umgebung einfügen - hier meint er vor allem die Verwendung von rotem Sandstein als Baustoff, eine gemäßigte Höhe, die nicht die benachbarte Peterskirche übertrumpft, sowie das asymmetrisch an die Südost-Ecke des Gebäudes angebrachte Türmchen, das einen Bezug zum Heidelberger Schloss herstellen soll. Neben diesen harmonisierenden Tendenzen verfolgte der Architekt aber andererseits auch das Ziel, die Besonderheit der Bibliothek als "Prachtportal zu den Schätzen der Wissenschaft" zu betonen. Hieraus erklärt sich die prunkvolle Innenausstattung des vorderen Gebäudeteils, den wir für die nächsten zwei Stationen dieses Spaziergangs noch durchqueren werden. Zusätzlich bediente die Hauptfassade mit ihren aufwändigen Relief-Verzierungen diese Funktion eines Prachtportals aber auch ganz wörtlich.
Wenn wir uns das Hauptportal der Bibliothek näher anschauen, sehen wir ganz oben unter dem Giebel das Gesicht der Athena, einer griechischen Göttin und Schirmherrin der Wissenschaft. Darunter folgt das Wappen des badischen Großherzogs mit Beischrift "A[nn]o Do[mini] 1905 - ERBAUT UNTER GROSSHERZOG FRIEDRICH". Seitlich davon befinden sich Darstellungen kämpfender Titanen sowie darunter die Masken der Komödie und Tragödie. Der Eingang selbst wird von zwei Statuen gerahmt. Links steht ein angeketteter nackter Mann, vor dem ein Greifvogel mit ausgebreiteten Flügeln verharrt - eine Darstellung des mythologischen Helden Prometheus, der von den Göttern dafür bestraft wurde, dass er das Feuer an die Menschen weitergab. Rechts gegenüber befindet sich eine weibliche Figur, die ihr Obergewand über den Kopf hochgezogen hält und sich nun nur noch im Unterkleid einem Jüngling zeigt, der ihr zu Füßen hockt und in einer Denkerpose zu ihr aufschaut. Es ist deutlich, dass diese zwei überlebensgroßen Statuen am Eingang zur Unibibliothek symbolische Botschaften nahelegen sollen. Durm nennt in seinem Aufsatz zwar keine ausdrücklich beabsichtigte Lesart, doch spätere Kunsthistoriker*innen haben Identifizierungen der Figuren mit Forschung (links) und Lehre (rechts) oder mit praktischer und theoretischer Wissenschaft vorgeschlagen. Neben diesen symbolisch verzierten Portalsäulen befinden sich weiter außen auf dem Hauptportal noch konkrete historische Bezüge. Links zeigt ein Medaillon eine Darstellung des Kurfürsten Ruprechts I. von der Pfalz, der im 14. Jahrhundert die Universität gegründet hat. Ihm symmetrisch gegenüber prangt rechts des Eingangs ein Porträt von Großherzog Karl Friedrich von Baden, der die Universität Heidelberg im frühen 19. Jahrhundert aus einer Finanzierungskrise rettete und sich im Rahmen seiner Bildungsreform dann auch selbst zum obersten Rektor erklärte.
All diese Elemente der Hauptfassade erhalten ihren letzten Schliff durch, so Josef Durm: "mäßige Vergoldungen".
Der Gesamteindruck von der UB-Fassade wird durch die vielen figürlichen Darstellungen und Verzierungen geprägt, jedoch trägt sie auch einige Inschriften. In welchem Verhältnis stehen diese schriftlichen zu den bildlichen Elementen?
Ein besonders offensichtlicher Zusammenhang besteht zwischen der Inschrift des Bauherren Großherzog Friedrich und den Porträts der früheren Lokalherrscher Ruprecht I. und Karl Friedrich von Baden. Durch diesen Querverweis innerhalb derselben Fassade wird der Großherzog in eine Tradition wichtiger Wohltäter der Universität gestellt.
Eine weitere Inschrift befindet sich auf der Westfassade der UB zur Sandgasse hin. Ganz oben unter dem Schmuckgiebel steht dort „inter folia fructus“. Wörtlich übersetzt bedeutet das „zwischen den Blättern die Frucht“. Die Inschrift bildet dadurch eine Verbindung hinüber zur Ostfassade an der Grabengasse. Der dortige Giebel zeigt nämlich laut Durm den sogenannten „Weltgeist“ mit einem „Lebensbaum“ - für uns erkennbar als beblätterte Zweige mit goldenen Früchten. Wie im Falle des Dreiecks zwischen den Universitätsstiftern auf der Hauptfassade ergänzen sich also auch hier Schrift und Bild zu einer Klammer, die den Eingang in die Bibliothek rahmt. Zusätzlich spielt die lateinische Floskel „inter folia fructus“ aber noch mit einer Doppeldeutigkeit, denn wie das deutsche Wort "Blätter" kann auch das lateinische "folia" sowohl die Blätter eines Baumes wie auch die Papierseiten eines Buches bezeichnen. Auch das Sich-Versenken zwischen die Seiten eines Buches verspricht demnach Früchte. Diese Inschrift lädt also gleichzeitig bereits ins Innere des Gebäudes ein, das sie ziert.